BUCH:HANDLUNG:PERSPEKTIVE

In meiner BuchHANDLUNG gibt es nichts zu kaufen. Dafür gibt es ganz kostenfrei interessante Perspektiven und die ein oder andere Handlungseinladung.

Ich stelle unter der Rubrik regelmäßig Bücher vor, die mich inspirieren, die mich eingeladen haben, zu reflektieren und mir neue Impulse geschenkt haben. Die Bücher sind Teil meiner persönlichen Zukunftsforschung für ein besseres Zusammenleben – persönlich, privat, beruflich, gesellschaftlich.

Heute beginne ich mit:

„Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay

Erschienen im Carl Hanser Verlag Berlin und eine Empfehlung für alle. Besonders empfohlen denen, die denken mit bestimmten Gesellschaftsgruppen zu arbeiten, die von sich sagen, dass sie „mit Behinderten arbeiten“ oder mit Flüchtlingen oder die sich mit verhaltensauffälligen Kindern auskennen oder die weiß sind und männlich oder nur eins von beiden.

Die entscheidende Frage, bzw. die Fragen dieses Buches sind: „Wer erklärt die Welt? Wer beschreibt, wer wird beschrieben? Wer benennt und wer wird benannt?“
Es geht damit auch um eine Frage der Macht, der Macht der Definition anderer oder genauer gesagt: über andere.
Ob Muslim*innen, Homosexuelle, Geflüchtete, Frauen, Menschen mit Behinderung und viele weitere – sie werden benannt, von den anderen, denen, die sich nicht benennen, die einfach sind, wer sie sind. (Meistens übrigens weiß und männlich)

Es ist kein Problem, Menschen mit ihren Eigenschaften zu beschreiben. Aber es ist ein Problem, wenn Menschen zu einer Eigenschaft werden und zu einer Gruppe und dabei jegliche Individualität verlieren. Sie sind: „Die jüdische Frau. Der schwarze Mann. Die Frau mit Behinderung… Die trans Frau.“ Das Kind mit Verhaltensauffälligkeiten.
Gümüşay schreibt: Wenn ich, eine sichtbare Muslimin, bei Rot über die Straße gehe, gehen mit mir 1,9 Milliarden Muslim*innen bei Rot über die Straße. Eine ganze Weltreligion missachtet gemeinsam mit mir die Verkehrsregeln.“
Sie stellt die Frage, wann es den Beschriebenen möglich ist, einfach nur sie selbst zu sein. „Wann dürfen diese Menschen ich sagen und damit auch ich meinen?“
Was ist mit der „kopftuchtragenden Punkerin“ oder dem „Schwarzen Balletttänzer?“ „Sie laufen gegen die Wände ihrer Käfige“.
Vielfalt ist eine Frage der Individualität und der Perspektivwechsel. Nach der Antwort auf „Wer bist du“ ist es die ständige Frage „Und was noch?“.

Neugierig zu sein auf dem Weg zu individueller Vielfalt ist nicht die Inspektion einer ganzen Gruppe à la Darf ich mal deine Haare anfassen? Oder Kannst du mit deiner Behinderung auch Sex haben? Neugierig zu sein im Sinne der Vielfalt bedeutet, Fragen zu stellen, deren Antworten keine Kategorien bestätigen müssen. Ein Zitat aus dem Buch weist das Ziel: „Kathleen (…) möchte in all ihrer Komplexität existieren: als eine, die wütend ist, die leise ist, die stark ist, die schwach ist, die fröhlich ist, die traurig ist; als eine, die die Antworten kennt, als eine, die nichts weiß. (…) Und wir sollten dieser Komplexität Raum geben, sich zu zeigen.“ (Grada Kilomba)

Zugegeben, ich hatte das Buch nicht einmal ganz durchgelesen als ich entschied, diesen Blogbeitrag zu schreiben, so sehr hat es mich inspiriert. Das Buch wirft zurück auf eigene Diskriminierungserfahrungen. Es zeigt auf die eigenen Gedanken, eigenen Worte, auf die eigens benutzte Sprache und die Lücken zwischen Wissen, Wollen, Sein und Handeln. Beim ständigen Schwanken zwischen der Zuordnung zu Benannten einerseits und Unbenannten andererseits (je nach Gruppen(nicht)zugehörigkeit, wurden mir eigene Perspektiven bewusster, die ich wünsche, mehr mit mir auszutauschen.

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